„Auf bestimmten Feindschaften bestehe ich“ Einzelkämpfer,
Schauspieler, Schwejk – ein Gespräch mit dem Journalisten und
Schriftsteller Günter Wallraff, der heute 60 Jahre alt wird Köln
– Der Rollenwechsel ist sein Markenzeichen: Der Schriftsteller
Günter Wallraff erzielte mit Büchern wie „Der Mann, der bei
Bild Hans Esser war“ und „Ganz unten“ Auflagen in
Millionenhöhe und wurde zum exponiertesten Vertreter der verdeckten
Recherche. Am heutigen Dienstag wird Günter Wallraff 60 Jahre alt. An
seinem Geburtstag weiht er in Kabul eine vom ihm gestiftete Schule für 450
Mädchen ein. Eva Engelken und Harald Hordych sprachen mit ihm in seinem
Haus in Köln-Ehrenfeld über Glanz und Elend des Wallraffens. SZ : Herr Wallraff, wann haben Sie zum
letzten Mal die Bild- Zeitung gelesen ? Wallraff: Ich wurde dazu verdammt
anlässlich ihres unheilvollen 50- jährigen Jubiläums. Da musste
ich mir noch mal einen Stoß Zeitungen antun. Die hatten andere für
mich gesammelt und ich musste sie dann einfach noch einmal durchblättern,
um zu sehen, wie sich das Blatt inzwischen entwickelt hat. SZ : Wie sehen Sie heute die Zeitung, die
Sie berühmt gemacht hat? Wallraff : Die haben mich nicht berühmt
gemacht. Mich gab es vorher. Ich war ja durch frühere Industriereportagen bekannt
geworden. SZ : Hat sich „Bild“
verändert? Wallraff: Sagen wir mal so: Sie sind in vielem
vorsichtiger geworden. Die regelmäßigen Rufmordfälle, die
damals fast wöchentlich passierten, sind jetzt nicht mehr so
flächendeckend. Aber sie werden immer wieder rückfällig, und was
ich schon vor der Wahl gesagt habe, als unser Kanzler sich noch mit Bild gemein
machte und für sie Männchen baute: Die sollen sich doch nicht vertun.
Wenn es in die harte Wahlkampfphase geht, dann ist Bild ein politisches Kampfblatt.
SZ : Hat sich denn die Republik durch
Ihre Arbeit verändert? Wallraff : Es wäre
größenwahnsinnig, wenn ich das beanspruchen würde. Ich glaube,
ich habe bei vielen Nachdenklichkeit hervorgerufen und ich hab es von Fall zu
Fall zumindest erreicht, so etwas wie ein Gewissen in einer sonst sehr
abgebrühten Gesellschaft wach zu rütteln. SZ : Ihr schriftstellerisches Leben ist
geprägt vom Kampf gegen das, was Sie als Unterdrückung,
Ungerechtigkeit, Willkür empfinden. Was war der Auslöser? Wallraff : Sicher die Zeit bei der Bundeswehr,
wo man mich am Ende sogar in eine psychiatrische Abteilung des Koblenzer
Lazaretts eingewiesen und mir diesen Stempel aufgedrückt hat:
„abnorme Persönlichkeit, Tauglichkeitsgrad 6, für Krieg und Frieden
untauglich“. SZ : Was hat denn diese Benotung
provoziert? Wallraff : Ich hab mir einige Aktionen erlaubt,
Eulenspiegeleien, Schwejkiaden. Damals wollten die mir was wegen
Wehrkraftzersetzung anhängen. Wenn die zum Beispiel morgens zu ihren
Gewehren flitzten, stak in jeder Gewehrmündung eine Feldblume.
Großes Gelächter: man wusste, dass ich das war, aber man konnte es
nicht beweisen. Ärgerlich wurde es, als man versuchte, mich zum
Geisteskranken abzustempeln. Das war wohl der Knackpunkt. SZ : Es heißt, Ihr Vater war, bevor
er ein bürgerliches Leben aufnahm, ein Vagabund auf Weltreise. Wallraff : Ich lebte eigentlich zwischen zwei
Welten, meine Mutter kam aus einer großbürgerlichen Familie,
Klavierbauer, die eine Erziehung zur Anpassung versuchten, zum Wohlverhalten.
Mein Vater war eher eine Art Weltbürger, der vergleichen konnte: deutscher
Gastarbeiter in einem Industrievorort von Barcelona, inerster Ehe mit einer
Spanierin verheiratet. Der konnte sich positive Seiten des Fremden zu eigen
machen und Rückständiges hinter sich lassen. SZ : Eine prägende Figur? Wallraff : Ja, aber leider viel zu früh
gestorben, da war ich 16. Er hat sozusagen das erlebt und auch erzählt,
was Jack London und Traven in ihren Romanen niedergeschrieben haben. Nur leider
war er durch die ruinierende Fließbandarbeit bei Ford –
Lackhölle nannte sich der Bereich – gesundheitlich angeschlagen und
immer sehr krank. SZ : Als Buchhändler haben Sie viel
gelesen. Welche Autoren waren wichtig für Ihre Entwicklung? Wallraff : Borchert, Böll, Tucholsky,
Camus, Sartre, um nur einige zu nennen. Aber als Buchhändlerlehrling
reizte mich vor allem das Verbotene. In einer kleinen Raubdruckerei in
Amsterdam habe ich mir einmal ein paar Henry Millers besorgt, die
„Wendekreis“-Romane. Das galt damals als Pornographie. Dann flog
die Druckerei auf, es kamen Strafverfahren und das wurde dem Inhaber der
Buchhandlung, einem Deutschnationalen, unterbreitet. Daraufhin wollte er mich
feuern. Das hat dann meine Mutter verhindert, weil sie bei meinem Chef
vorgesprochen hat. „Soziale Not“ und so weiter. SZ : Anstoß zu erregen, zieht sich
wie ein Roter Faden durch ihr Leben. Wallraff : Hm...– ja. SZ : Haben Sie sich den Ärger, den
Sie sich dadurch einhandelten, irgendwann wie Orden an die Brust geheftet ? Wallraff : Nein, das hat mich immer belastet,
manchmal sogar mürbe gemacht. Ich genieße das überhaupt nicht.
Es zieht einen wirklich runter, allerdings: Man hat sich halt so definiert. SZ : Sie haben einmal gesagt, alles was
in Ihren Büchern stehe, sei durch Ihre Gebrochenheit dokumentiert. Wie
meinen Sie das? Wallraff : Ich habe es eben schon anklingen
lassen, dass ich zumindest in den ersten Jahren meiner Arbeit nicht gerade ein
überentwickeltes Selbstbewusstsein hatte. Ich glaube, durch die extremen
Situationen, denen ich mich ausgesetzt habe, habe ich so etwas wie eine
Identität entwickelt. Ich bin von einem Menschen, der eigentlich
harmoniesüchtig ist, von Fall zu Fall zum Kämpfer geworden. Wenn es
denn sein musste. SZ : Viel Feind, viel Ehr? Wallraff : Nein, absolut nicht. Wenn es mir
gelingt, bei Menschen,denen ich begegne, durch ein Gespräch das
Feind-Image, das sie von mir haben, zu relativieren oder wenn ich, von mir
ausgehend, in diesem Gegner den Menschen erkenne, dann empfinde ich das als
erleichternd. Andererseits muss ich aber sagen: Auf bestimmten Feindschaften
bestehe ich. (Schmunzelt). SZ : War das Problem Ihrer Methode nicht,
dass Sie nur aufgedeckt haben, was Ihre Vorurteile bestätigte? Wallraff : Im Gegenteil. In der Regel war immer
alles ganz anders, als ich es mir vorstellte. Mal anders schlimm, weniger
schlimm, schlimmer als schlimm, aber nie so, wie man es eigentlich erwartet
hatte. Das fing ja an bei meinen Industriereportagen. Da haben geschulte
Soziologen gesagt: Das Besondere dieser Reportagen ist, dass jemand ohne sein
theoretisches Vorwissen an die Sache heran geht, staunen kann und Dinge
reklamiert, an die sich andere längst wie an das Selbstverständliche
gewöhnt haben. SZ : Wie haben Sie reagiert, wenn Sie bei
einer Recherche feststellten, dass ein Missstand gar keiner war? Wallraff : Ja, da konnte ich dann nicht
darüber schreiben. SZ : Nahmen Sie also nicht ins Buch auf,
wenn Sie etwas Positives fanden? Flog raus, was nicht ins Konzept passte? Wallraff : Wenn Sie meine Bücher genau
lesen, merken Sie, dassich sehr wohl bestimmte Feindbilder abbaue. Nehmen Sie
den Redaktionsleiter bei Bild, ein Typ, der wirklich schlimmste Sachen zu
verantworten hatte, und dennoch zitiere ich eine Frau, die ihn sehr gut kennt: „Privat
ist das ein ganz zuvorkommender, sogar liebenswerter Mensch.“ Es ist ein
durchgehender Zug in meinen Büchern, niemanden zu dämonisieren. Die
Zustände zu hassen, aber nie den Menschen. SZ : Es hat durch die Erfolge ihrer
Bücher nicht lange gedauert, bis ihnen vorgeworfen wurde, dass das
Wallraffen zu einer gewinnträchtigen Masche geworden sei, dass Ihre
Recherche unter dem Diktat des Reißerischen gelitten habe. Wallraff : Also, erst mal: Nichts was ich
mache, ist erfolgsorientiert. Ich habe den Erfolg immer auch als eine gewisse
Verpflichtung angesehen, einen Teil zurück zu geben. So ist der
Rechtshilfefonds entstanden, so habe ich 1,5 Millionen Mark von meinen
Honoraren in meine Stiftung „Zusammenleben“ in Duisburg
eingebracht, von der meine ehemaligen Arbeitskollegen profitieren. Das sind
Initiativen, da entsteht kein Buch draus. SZ : Bei ihren Recherchen haben Sie
manchmal das Gesetz übertreten, illegal Tonbandaufnahmen angefertigt,
Papiere gefälscht. Wie bewerten Sie das? Wallraff : Es sind formale Gesetze, bei denen
ich mir von Fall zu Fall erlaube, sie zu ignorieren. Was ist schon ein
Personalausweis oder eine Lohnsteuerkarte? Nicht mehr als ein Fetzen Papier,
wenn es um Menschenrechte geht. SZ : Sie waren Obdachloser,
„Bild“-Redakteur, der Türke Ali. Wären Sie nicht lieber
Schauspieler geworden? Wallraff : Nein, von mir ist in jeder Rolle
etwas Ureigenes zurück geblieben. Zur Hälfte war der Ali ein
Ausländer und die andere Hälfte ist die Narrenrolle, in der ich mich
selber auslebe. SZ : Diese Seite vermutet man beim
verbissenen, fast finster wirkenden Wallraff eigentlich nicht. Wallraff : Es gibt in meinen Rollen immer
wieder Situationen, die so urkomisch sind, da meinen Sie, Sie sind in einem
surrealen Film. Und das koste ich von Fall zu Fall auch aus. Der große
Literaturwissenschaftler Hans Meier hat mal geschrieben, Wallraffs Bücher
sind gerade auch dort, wo sie den Leser erschüttern müssten, zugleich
so etwas wie Schelmenromane. SZ : Waren irgendwann Ihre Rollen
aufgebraucht? Nach 1985 hatten Ihre Enthüllungsgeschichten nicht mehr
dieselbe Wirkung wie vorher. Wallraff : Schon, ich bin an einigen Rollen
gescheitert – weitestgehend, weil gleichzeitig enorme gesundheitliche
Probleme bis zu Lähmungserscheinungen auftraten. In Vorbereitung hatte ich
eine Rolle in der Ceaucescu-Ära. Aber durch den Sturz Ceaucescus hatte
sich das zum Glück erübrigt. Das war genauso bei einer Rolle als
Afrikaner im Rassistenregime in Südafrika. SZ : Hat das Wallraffen heute
überhaupt noch Berechtigung? Wallraff : Noch stärker als zuvor. Es
existieren Demokratie- abgewandte Geheimwelten und Parallelgesellschaften, von
denen erfahren wir fast nur Gefiltertes oder Interessengeleitetes. Aufgaben
gäbe es genug: allein das Thema Leiharbeit oder Menschenhandel, ein boomendes
Gewerbe. Wenn ich jünger wäre, würde ich da sofort wieder
ansetzen. Auch was sich da an islamistischen Gruppen bildet, wird zum Teil
verharmlost und unter Multikulturalität verniedlicht. SZ : Da marschieren ja Wallraff und Staat
in eine Richtung! Wallraff : Ja, das kann vorkommen, ich bin ja
nicht jemand, der per se alles ablehnt, was von staatlicher Seite hier
geschieht. Es gibt einen Erfahrungssatz eines orientalischen Weisen, der gesagt
hat: Wer ist weise? Der von allen lernt. SZ : Was könnten jüngere
Nachfolger von Günter Wallraff lernen? Wallraff : Ich sehe eine große
Bereitschaft gerade bei jüngeren Journalisten, investigativ zu
recherchieren. Aber es gibt immer weniger Freiräume für
längerfristige Recherchen. Ideal wäre es, einen Zweitberuf zu haben
oder sich zu spezialisieren. Auf keinenFall abhängig werden von
Politikern. Sonst wird aus dem Berufsbild des Aufklärers und
Gesellschaftskritikers schnell das des Speichelleckers oder des
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